Dienstag, 23. Dezember 2008
Kanadas Biathletinnen strippen für Olympia
Mehr als Platzierungen um Rang 50 sind derzeit nicht drin für Kanadas Biathletinnen. Um bei den Winterspielen 2010 in Vancouver besser abzuschneiden, erinnerten sie sich an eine alte Regel: Sex sells. Sie produzierten einen Kalender mit Erotikbildern, um mit der finanzstarken Konkurrenz mitzuhalten.
Die wahre Mühsal Olympias dämmerte Megan Tandy, 20, und Rosanna Crawford, 20, oft erst in den gemeinsamen Arbeitspausen. Die beiden kanadischen Biathletinnen trafen sich dann gelegentlich in der Railway Avenue von Canmore im Bundesstaat Alberta und besprachen ihre Sehnsucht von der Medaillenjagd in Vancouver im Februar 2010. „Winterspiele zu Hause in Kanada sind ein Traum“, schwärmt ihre Teamkollegin Zina Kocher, 26, „es wäre unglaublich, wenn einer von uns tatsächlich ein Platz auf dem Podium gelänge.“
Es lag kein Schnee, denn es war Sommer. Aber die Tage verliefen fast anstrengender als in der Wintersaison, wenn Tandy oder Crawford mit ihren Gewehren auf Ski durch die Gegend laufen etwa bei Weltcups wie in Hochfilzen am Wochenende. Die beiden kanadischen Top-Biathletinnen nämlich schafften ihre finanzielle Grundlage für den langen Winter: Crawford reichte bei „Avalanche Videos“ den Kunden die Filme über den Tresen, Tandy kellnerte im „Starbucks“.
Kocher konnte es, wie die beiden weiteren Teammitglieder Sandra Keith,28, und Megan Imrie, 22, ruhiger angehen lassen. Sie wohnt bei ihren Eltern in Red Deer und sie genießt ein wenig öffentliche Förderung, weil sie die erfolgreichste der Mannschaft ist. Vor zwei Jahren gelang ihr in Östersund mal ein dritter Platz. Dann warf Pfeiffersches Drüsenfieber sie so weit zurück, dass Fernsehkameras sie selten einfangen, da sie sich derzeit im Weltcup-Umfeld der Kolleginnen tummelt: Mehr als Platzierungen um die 50 sind nicht drin für Kanadas Beste.
Zwei-Zylinder-Motor gegen einen V-6
„Man muss das ins Verhältnis setzen: Wenn ich neben einer Deutschen starte, bekommt sie an Förderung allein, was unsere gesamte Mannschaft als jährliches Budget erhält“, klagt Kocher, „es ist, als wäre ich ein Zwei-Zylinder-Motor, der mit einem V-6 mithalten soll.“
Prompt hat Kocher ihre Zeit im Sommer genutzt, am Tuning zu tüfteln. Das Ergebnis lässt sich über die kommenden zwölf Monate bewundern. Nach eingehender Beratung mit der Langlaufkollegin Sara Renner, die ihre vierten Olympischen Spiele anstrebt und ein ähnliches Projekt probiert hat, setzten Kocher und die Kolleginnen ihre Körper für einen Kalender in Szene: „Die Fotos sollen erotisch sein, aber geschmackvoll und daher keine sexuellen Körperteile zeigen.“
Dass Spitzensportler ihre durchtrainierte Physis zur Schau stellen, um höchstpersönlich in einer vom zunehmenden Körperkult geprägten Gesellschaft vom uralten Verkaufsprinzip „Sex sells“ zu profitieren, ist nicht neu. Dass sie ihre Nacktheit als Mittel heranziehen, um ihre sportliche Förderung erst auf ein professionelles Niveau zu hieven aber schon.
Für gewöhnlich legen insbesondere Olympias Ausrichterländer Programme für mehrere Hundert Millionen Euro auf, um dem Volk Medaillen zu garantieren. Das Werk, das die Biathletinnen nun im Internet für 25 kanadische Dollar vertreiben (www.boldbeautifulbiathlon.com), soll Verteilungsschwächen in der kanadischen Olympia-Förderung ausgleichen: Von den 110 Millionen Dollar, die Staat, Sportverbände und Sponsoren seit Januar 2005 über die Organisation „Own the Podium“ aufwenden, um Kanada Platz eins im Medaillenspiegel von Vancouver zu garantieren, kommt fast nichts im Frauen-Biathlon an. „Wir hoffen, dass wir damit auch unserem Sport mehr Aufmerksamkeit bescheren können“, sagt Kocher, „denn in Kanada interessiert sich kein Mensch für Biathlon, keines unserer Rennen wird im Fernsehen gezeigt.“
Bei Unterfinanzierung wird blank gezogen
Nacktkalender-Projekte wie von der amerikanischen Hochspringerin Amy Cuff oder den britischen Männer-Rugby Mannschaften von Gloucester oder Westbury-on-Severn pflegten entweder wohltätigen Zwecken, privatem Gewinnstreben oder Publicity-Sehnsucht zu dienen. Zunehmend häufiger folgen nun Athleten aus Randsportarten dem Vorbild von Australiens Frauen-Fußballnationalmannschaft: Von chronischer Unterfinanzierung geplagt, zogen die Matildas 1999 blank.
Dabei erweist sich der Mut zu so viel Exhibitionismus gerade in Ländern wie Kanada, das als Wiege der Prüderie gilt, als heikel. Einerseits droht den Frauen in ihrem Kampf um Gleichberechtigung von Männern angefeindet zu werden, die rügen, dass ihre sportlichen Waffen offenbar eben doch nicht ausreichten. Obwohl ihr Kalender sich erfolgreich verkaufte, mussten die Matildas vor knapp zehn Jahren in der männlich dominierten Fußballwelt viel Häme einstecken.
In Europa stören Frauenbrüste nicht mehr
Andererseits dient gerade die Frage des Umgangs mit öffentlicher Erotik trefflich, Toleranzschwächen einer Gesellschaft bloßzustellen. Die spanische Fotografin Ana Arce, eine Curling-Nationalspielerin, hat bereits zwei Kalender mit Nacktbildern der weltbesten Athletinnen ihres Sports veröffentlicht, bevor sie für das kommende Jahr eine eigene Ausgabe für den US-Markt (www.thecurlingnews.com) fertigen sollte: „Die vorherigen waren zu gewagt für Nordamerika“, sagt sie, „in Europa sind wir viel offener, der Anblick von Frauenbrüsten entrüstet hier niemanden mehr, dort aber schon.“
Kanadas Biathletinnen hoffen, nackt den Spagat zwischen Erotik und Moral so geschmeidig geschafft zu haben, dass die Rechnung aufgeht. Für Fotografen und den Druck von 5000 Kalendern haben sie 13.000 Dollar auch mithilfe von Sponsoren investiert. Das Quintett hofft, 80.000 Dollar zu erlösen. Im Jahr veranschlagen die Frauen 30.000 Dollar Weltcup-Kosten pro Person. „Es wäre schön, wenn wenigstens mal die ganze Saison ein Physiotherapeut dabei sein könnte“, sagt Kocher, „Bedingungen wie Norwegen, Deutschland oder Russland bekommen wir sowieso nie.“
Quelle: welt.de
Bilder (c) www.boldbeautifulbiathlon.com
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